Die Diskrepanz zwischen Freizeitaktivitäten und Freizeitwünschen hat mich überrascht. Obwohl Freizeit sich ja über Freiwilligkeit definiert, machen die allermeisten Deutschen in ihrer freien Zeit nicht das, was sie eigentlich wollen“, betont Prof. Dr. Ulrich Reinhardt, Leiter der Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, die seit über 40 Jahren jährlich den Freizeit-Monitor herausgibt. „Statt zu machen, was sie wollen, sind die Deutschen online. Die Dominanz des Internets setzt sich fort – ob auf der Couch, im Bett oder unterwegs – es begleitet uns jederzeit und überall“, fasst er eine zentrale Erkenntnis des aktuellen Freizeit-Monitor 2024 zusammen.
Prof. Dr. Ulrich Reinhardt
Leiter der Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfragen
Chillen zur Erholung
Bewusstes Nichtstun zur Erholung und Entspannung bevorzugen die Deutschen zur Regeneration. Chillen überflügelt andere Relax-Möglichkeiten wie Ausschlafen und Wellness (Pflege). Das hat Auswirkungen auf das Verhalten der Gäste im Urlaub. „Touristen suchen den Kontrast zum Alltag und wollen im Urlaub die Seele baumeln lassen, ohne Termine und Verpflichtungen. Deshalb empfehle ich Ruheoasen zu schaffen, die jederzeit besucht werden können“, rät Professor Reinhardt. Gleichzeitig warnt er vor einem Zuviel an Angebot: „Für einen Teil der Reisenden ist weniger mehr. Sie wollen nicht aus zig Angeboten auswählen müssen, sondern einige Optionen geboten bekommen, die sie nutzen können oder auch nicht“, so der Forscher. Harmonieren dürften Chillen und Wellness auch in Zukunft. „Wellness wird weiter gefragt sein. Mehr als jeder Zweite würde gerne öfter Wellnessangebote nutzen, am liebsten während Kurztrips“, sieht Reinhardt kein Problem auf Wellnessanbieter zukommen.
Stresslevel steigt kontinuierlich
Mehr als die Hälfte der Deutschen (52 Prozent), bei den unter 30-Jährigen sind es gar 63 Prozent, fühlen sich heute öfter gestresst als früher, so die Stiftung für Zukunftsfragen. Das hat, so Experte Reinhardt, damit zu tun, „dass wir in einem Zeitalter der Optimierung leben. Alles wird optimiert – die Arbeit, der Körper, die Gesundheit und zunehmend auch die Freizeit.“ Das hohe Stresslevel fördert die beschriebene Sehnsucht nach Chillen. Das einfache Nichtstun sei also eine wenig überraschende Gegenreaktion.
Digital boomt: Die Fakten
Die Dominanz des Digitalen wird Jahr für Jahr größer, auch in der Freizeit. Das zeigen 10-Jahres-Vergleichszahlen aus dem Freizeit Monitor 2024.
- Internet nutzen: 97 Prozent (2014: 75 Prozent)
- Mit Computer, Laptop, Tablet beschäftigen: 78 Prozent (2014: 60)
- Mit dem Smartphone spielen, surfen, chatten usw.: 78 (27)
- Private E-Mail lesen/schreiben: 77 (61)
- Social Media-Angebote nutzen: 68 (39)
Dagegen sind „alte“ Tätigkeiten rückläufig:
- Fernsehen: 84 Prozent (2014: 97 Prozent)
- Radio hören: 71 (91)
- Telefonieren (von daheim): 60 (88)
- Telefonieren (unterwegs): 55 (74)
Bewegungsdrang und Kontaktwunsch
Eine andere Gegenreaktion dürfte der „Neue Bewegungsdrang“ sein, den die Forscher kommen sehen. In der Alltagsfreizeit ist regelmäßiges körperliches Aktivsein – vom gemütlichen Spazierengehen bis zu schweißtreibendem Sport – hoch im Kurs. Es gibt im Vergleich zu vor 10 Jahren deutliche Steigerungen.
Während zwischenmenschliche Kontakte dank der technologischen Möglichkeiten vermehrt digital und nicht mehr real stattfinden, steigt das Bedürfnis nach mehr sozialen Beziehungen etwa Treffen mit Freunden außerhaus oder zuhause, beispielsweise um gemeinsam zu lachen, etwas zu erleben oder in Ruhe zu reden. „Auch auf Reisen heißt es Gemeinsam statt einsam. Ich sehe große Chancen für Anbieter, die auf Gemeinschaft und Geselligkeit setzen“, fasst Ulrich Reinhardt zusammen.
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QUELLE: BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, Freizeit-Monitor 2024, 27.8.2024, www.stiftungfuerzukunftsfragen.de